1879 – 1904, Vereinschronik

Das erste Vierteljahrhundert 1879 bis 1904

Man schrieb das Jahr 1879, das Jahr, in dem die beiden späteren deutschen Nobelpreisträger Albert Einstein, der Gründer der Relativitätstheorie, und Otto Hahn, der Entdecker der Urankernspaltung, geboren wurden.

Als ländliche Gemeinde führte Lütgendortmund, ehe sich die Industrie auch hier ausbreitete, ein beschauliches Dasein. Obwohl es schon damals Mittelpunkt und Kirchplatz einer großen Anzahl von Dörfern und landwirtschaftlichen Flecken war, hatte es nur eine geringe Einwohnerzahl und das gesellige Leben war nur wenig entwickelt. Mit Einzug der Industrie trat ein ungeahnter Aufschwung ein. Werktätige Menschen kamen ins Land, die ländliche Arbeitsbevölkerung wendete sich mehr und mehr dem lohnenden Bergbau zu. Geschäftsleute ließen sich nieder und ein lebhafter Verkehr trat an die Stelle des früheren beschaulichen Stilllebens. Die Alteingesessenen und die „Zuwanderer“ hatten sich zusammengelebt. Auch die Geselligkeit forderte ihr Recht und sie gab, als das deutsche Turnwesen sich nach seinem Aufblühen in den 60er Jahren in Westfalen einbürgerte, den Boden her für die Einführung des Turnens auch in Lütgendortmund.

Bereits im Jahre 1878 hatte sich in Dorstfeld der „Allgemeine Turnverein“ gebildet. In der Gründungsurkunde wird der Dorstfelder Amtsrentmeister Schildwächter, ein Lütgendortmunder Bürger, erwähnt.

Alt-LütgendortmundAlt-Lütgendortmund

Vereinslokal wurde der Gasthof Kersten. Mit Eifer ging man nun an die Pflege der Turnerei. Zunächst wurde nur eine Turnstunde für die Woche angesetzt. Doch das reichte bald nicht mehr aus. Im Sommer kam eine zweite und bald eine dritte Turnstunde am Sonntag Nachmittag hinzu.

Bereits am 29. Mai 1881 konnte die Fahne, die von der Firma Umbach in Dortmund für 150,- Mark angefertigt wurde, festlich geweiht werden. Dies fand im Rahmen des ersten Preis- und Schauturnens statt, so mit allem Drum und Dran, mit Barren, Reck und Stabhochspringen. Zahlreiche Vereine aus der Nachbarschaft, aus Marten, Dorstfeld, Castrop, Bochum, Herne, Schalke und Annen kamen zum Festplatz und schwangen abends im Saale der Gaststätte Kersten zur Tanzmusik beim großen Festball das Tanzbein. Im selben Jahr trat die „Eintracht“ dem Bochumer Gau bei und betätigte sich nunmehr sehr rege an den Veranstaltungen des Gaues. So entwickelte sich der Verein als gesunder Spross in der großen Familie der Deutschen Turnerschaft.

Das Vereinsleben wurde intensiv gepflegt, es entwickelte sich rasch. Einmal im Monat fanden sich die Mitglieder und Freunde zu einem „fröhlichen Abend“ zusammen. Auch als 1883 die Zeche Germania II in Betrieb genommen wurde und somit die Industrialisierung langsam zunahm, schalteten sich Eintracht´s Turner auch weitgehend in das immer noch dörfliche Leben ein. Sie fehlten bei keinem Schützen- oder Kriegerfest, sie besuchten einfach alle Feierlichkeiten und unsere Vorfahren konnten gut feiern. Aber sie übernahmen auch Pflichten, freiwillige Pflichten, so z. B. die damals übliche Feuerwache u.a.m.

Der monatliche Beitrag betrug in den frühen Eintracht-Jahren 50 Pfennig. Hinzu kam ein Verbands- zuschlag von eineinhalb Groschen. Der Obulus für die Teilnahme an Festlichkeiten betrug 75 Pfennig. Nobel, wie unsere Altväter waren, hatten Damen stets freien Zutritt.

Das „liebe Geld“ spielte damals – die Protokolle beweisen es immer wieder nachdrücklich – auch schon eine böse Rolle. Meist war Ebbe in der Kasse. Dennoch wurden Turngeräte wie Bock und Pferd angeschafft. Die Mitglieder sparten Groschen auf Groschen, Handwerker, Geschäftsleute und auch die Zechen spendeten hinzu. Und wenn es ganz knapp mit dem Geld war, dann wurden die Mitglieder und die „Einziehungsboten“ wieder einmal hart angemahnt.

Viele Nachbarvereine hatten sich, im Gegensatz zu den nach Bochum orientierten Lütgendortmundern, dem Hellweg-Märkischen Turngau angeschlossen. Durch die Bindung der Eintracht „zum offenen Westen“ konnten daher nur recht wenige Vergleichskämpfe ausgetragen werden. Deshalb beschloss die Vollversammlung am 9. November 1884 den Beitritt zum Hellweg-Märkischen Turngau.

Lütgendortmund wuchs und wuchs. Mit dem Ort wurde auch der TV Eintracht größer und bedeutungsvoller, er „fasste Fuß“ in der Bevölkerung. Schon 1889 zahlten 137 Sportler ihren Beitrag. Die Mitglieder kamen aus allen Schichten der Lütgendortmunder Bevölkerung. Nach preußischer Beamtensitte wurden die Turner und Turnfreunde bei der Aufnahme in den Verein im Protokoll gründlich – mit Berufsangabe – erfasst. So wurde in einer Aufzeichnung erwähnt: 73 Bergleute, 59 Handwerker, 6 Fabrikarbeiter, 12 Landwirte, 16 Kaufleute, 28 Beamte oder Bürogehilfen, 3 Lehrer, 2 Geistliche, 1 Arzt und 6 „Sonstige“. 1905 waren es schon 220 Mitglieder, und im Jahre 1909 lag der Verein mit einer Mitgliederzahl von 330 bereits an der dritten Stelle der Gauvereine.

Nach alter Turnerart wurde natürlich auch frisch-fromm-fröhlich-frei getrommelt: seit 1886 verfügte Eintracht über ein Trommlercorps.

Jung- und Altersriege wurden gebildet, der Turnverein wurde immer stärker, sein Ruf im Gau festigte sich mehr und mehr. Er war schon bald nach den ersten mageren Jahren so gut mit Geräten ausgestattet, dass er sich bereit erklärte, schon im Jahre 1889 das Gauturnfest auszurichten. Diese Veranstaltung konnte in jeder Hinsicht als ein wohlgelungenes Fest bezeichnet werden.

Eine Frauenabteilung wurde um die Jahreswende 1895/1896 gegründet, versuchte sich mit wechselndem Erfolg und wurde auch wieder aufgegeben.

Aber nicht alle Tage hat dem Verein die Sonne geschienen. Wolken und Stürme hat er kennen lernen müssen. Bis 1900 war der Turnverein in Lütgendortmund in sich keineswegs so gefestigt, wie es sich die Gründer 20 Jahre zuvor vorgestellt hatten. Oftmals fand zwischen den Wahlperioden ein Vorstandwechsel statt, zumeist hervorgerufen durch Meinungsverschiedenheiten, Lässigkeit der Mitglieder und andere Ursachen. Auch die Mitgliederzahl unterlag starken Schwankungen. Aber immer wieder raffte der Verein sich zum neuen Fortschritt auf. Nur ein Name erscheint seit 1888 regelmäßig in der Vereinschronik, der des ehrenwerten Herrn Schildwächter. Schildwächter war in den ersten Eintracht-Jahren erster Turnwart des Vereins, dann des Kreises und des Gaues, war zweiter Vorsitzender und seit 1898 leitete er verantwortlich die Geschicke des Vereins – mit großer Umsicht.

Ein wahrer Höhepunkt in der Vereinsgeschichte des Lütgendortmunder Turnvereins war der 24. Juni 1900. In dem Jahr, in dem in China die europäischen Großmächte den Boxer-Aufstand niederwarfen, in Paris bei der Weltausstellung die erste Rolltreppe rollte, Borsig die erste Dampfmaschine mit 100 000 PS baute und in Lütgendortmund die Straßenbahn bis zum Lütgendortmunder Markt führte, aber auch Zeche Zollern II in Betrieb genommen wurde, richtete Eintracht Lütgendortmund das Gauturnfest aus. Neue Turnkleidung musste angeschafft werden. Dazu gehörten neben dem Turnerhut für sage und schreibe 2,75 Mark natürlich auch der Gummigürtel, der die Turnhose hielt. Der kostete einen Groschen, die Hose 9,75 Mark. Die Kapelle verlangte 117 Mark, für das Riesenfeuerwerk wurden 20 Goldmark ausgegeben. Und als Anerkennung für die hervorragende Ausrichtung des Gauturnfestes wurde Schildwächter in den Gauvorstand gewählt.

Zum Turnfest nach Nürnberg wurden 1903 drei Turner delegiert: Turnwart Ellringmann und die Turner Kersten und Hötzel, die das Fest mit Erfolg abschlossen.

Ein Jahr später, 1904, stellte die Leistungsriege beim Lüdenscheider Kreisturnfest den Sieger. Immerhin nahmen dort 26 Lütgendortmunder an den Wettkämpfen teil – die Turner aus Lütgenbömmel hatten schon einen guten Namen.

Als 1904 in Deutsch-Südwestafrika die Hereros ihren blutigen Aufstand begannen, streikten hier die Bergarbeiter. Viele Eintracht-Mitglieder lebten unter kärglichen Bedingungen, waren bei allem guten Willen nicht in der Lage, ihren Vereinsbeitrag zu zahlen.